Reggio-Pädagogik

Die Reggio-Pädagogik wurde nach einer norditalienischen Stadt benannt. Zum einen soll damit die besondere Beziehung des pädagogischen Konzepts mit der soziokulturellen Gegebenheiten des Ortes Reggio-Emilia und seiner historischen und politischen Situation während der Entwicklung der Reggio-Pädagogik betont werden. Zum anderen wird so unterstrichen, dass es eine Gemeinschaft von Urhebern gibt. 

In kommunalen Tageseinrichtungen für Kinder in Reggio Emilia haben sich seit den späten 1960er Jahren pädagogische Handlungsstrukturen ausgebildet, welche die Grundlage für die Reggio-Pädagogik stellen. Sie weist Gemeinsamkeiten mit den pädagogischen Ideen von Maria Montessori auf, wie die Betonung der Freiheit, der Selbstständigkeit und Eigentätigkeit des Kindes, die Einschätzung des Kindes als „Konstrukteur“ seiner eigenen Entwicklung. Beide Ansätze schreiben dem räumlichen Ambiente und der Sinnlichkeit des Materials, mit dem die Kinder agieren, eine hohe Bedeutung zu. Einer der führenden Entwickler der Reggiopädagogik war Loris Malaguzzi (siehe Bild) Er hat entscheidend zur Entwicklung der Reggio Pädagogik beigetragen. Er hat sich bis zu seinem Tod gegen Dogmatisierungen und Festlegungen ausgesprochen.



Ziele

Das zentrale Ziel ist die Lernfreude der Kinder zu erhalten und zu fördern – nicht die reine Speicherung von vorgefertigtem Wissen. 
Weitere Ziele sind 

 

  • Identitätsaufbau 
  • Potenzialentfaltung 
  • Erweiterung der Fähigkeiten 
  • Erweiterung der Fertigkeiten 
  • Wissensaneignung lernen 
  • Sensible, reflektierende Persönlichkeit entwickeln 
  • Empathie für Situationen/Bedürfnisse Anderer 
  • Sorgfalt im Umgang mit Material 
  • Verantwortungsbewusstsein 
  • demokratisches Bewusstsein, das eingeübt werden soll durch Partizipation, Solidarität und soziale Gerechtigkeit 


Außerdem gehört die Einbeziehung von Kindern mit Behinderung zu den Zielen der Reggio-Pädagogik.

Es gibt fünf charakteristische Punkte für die reggianische Projektkonzeption

  1. Das optimistische Bild vom Kind, das sich aktiv mit sich, seiner gegenständlichen und sozialen Umwelt auseinandersetzt.
  2. Ein Lernbegriff, der Lernen als forschendes und entdeckendes Lernen versteht. 
  3. Die Rolle der Erzieher, der Erwachsene als Begleiter. 
  4. Die Gewinnung von Projektinhalten aus dem Alltag zur Eingebundenheit in den Alltag der Einrichtung und ihrem sozialen Umfeld. 
  5. Die sinnliche und gegenständliche Dokumentation des Projektprozesses, der Ergebnisse und der Projektauswertung. Diese fünf Punkte bestimmen im Wesentlichen die Praxis der Reggio-Pädagogik.


Das Bild vom Kind

Die Reggio-Pädagogik hat ein optimistisches Bild vom Kind. Sie sieht im Kind ein Wesen, das sich aktiv mit der gegenständlichen und sozialen Welt, mit seiner eigenen Person, seinem Körper, seinen Gefühlen und seinen Bedürfnissen auseinander setzt. Das Kind wird als Konstrukteur seiner Entwicklung und seines Wissens betrachtet. Es weiß daher am besten, was es braucht; und es verfolgt mit Energie und Wissbegierde die Entwicklung seiner Kompetenzen.

Kinder lernen durch alltägliche Erfahrungen, durch Erkunden, Experimentieren und vor allem auch dadurch, dass sie ihre Entdeckungen, Erlebnisse, Empfindungen und Deutungen mit „hundert Sprachen des Kindes“ („cento linguaggi dei bambini“) zum Ausdruck bringen; zum Beispiel mit Worten, Bildern oder darstellendem Spiel.


Die Vorstellung von Entwicklung und Lernen

Der Kindergarten soll ein Ort sein, wo Kinder forschen, hinterfragen und Dinge prüfen können. Lernen lässt sich in der Reggio-Pädagogik durch folgende Gegensatzpaare beschreiben

  • Intrinsische statt extrinsische Motivation 
  • Entdeckung statt Darbietung 
  • Lebens- /problemorientiert statt systematisch 
  • Erfahrung statt Verbalisierung 
  • Verstehen statt Erinnern 
  • Lernmethoden lehren statt Inhalte 
  • Prozess statt Produkt

Den Kindern soll ein sinnlicher Zugang zur Welt eröffnen werden. Durch die bildhafte und gestalterische Darbietung wird die Wahrnehmung geschärft und die Weltaneignung sinnlicher gestaltet. Man erhofft sich einen verantwortungsvolleren Umgang mit Wissen und eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit.


Die Rolle der Erzieher

Die Rolle der Erzieher entfernt sich in der Reggio-Pädagogik sehr deutlich von der traditionellen Anleitungsfunktion. Die Erzieher sind Begleiter und Dialogpartner der Kinder. Sie schaffen eine Atmosphäre des Wohlbefindens, hören den Kindern zu und beobachten sie, stützen durch ihr eigenes Interesse und ihre aktive Begleitung die „Forschungsprozesse“ der Kinder, stellen Ressourcen für die Aktivitäten der Kinder bereit und geben ihnen Impulse, kommunizieren und reflektieren im Team die Erfahrungen in der Arbeit mit den Kindern und sind Beratungspartner für die Eltern.


Die Projekte

Die Projekte und Projektarbeit sind das Herzstück der Reggio-Pädagogik. Sie basieren auf dem Interesse der Kinder; zwar werden sie vom Erzieher angeregt und erweitert, jedoch nicht gesteuert. Der Ausgangspunkt der Projekte und Projektarbeit sind die Beobachtungen der Kinder. Ein zentrales Element der reggianischen Projektpraxis ist die Dokumentation der Handlungsprozesse durch großflächige Wanddokumentationen („sprechende Wände“) und/oder vervielfältigte Heftdokumentationen.

Aus Spielhandlungen oder Gesprächen entwickeln sich oft Projekte. Sie basieren auf dem authentischen Interesse der Kinder, das zwar von Erwachsenen durch Impulse stimuliert, akzentuiert und erweitert, aber nicht gesteuert wird. Ein Projekt kann daher von ganz unterschiedlicher Zeitdauer sein (von zwei Stunden bis zu einem Jahr!). Auch die Zahl der Projektteilnehmer hängt allein von der Interessenbindung der Beteiligten ab.


Der Raum als „dritter Erzieher“

Die Räume der Einrichtungen werden als „dritter Erzieher“ betrachtet, wobei „Raum als dritter Erzieher“ eine oft zitierte, reggianische Aussage ist, die unterschiedlich interpretiert werden kann. Die Räume kommunizieren zwischen drinnen und draußen, sie geben Geborgenheit (Gruppenräume mit Rückzugszonen) und offerieren zugleich Herausforderungen zum Aktiv-werden (Atelier, Piazza als Begegnungsort). Gestaltungs- und Erkundungsmedien werden offen präsentiert und können von Kindern und Erzieher nach Bedarf ergänzt werden. Besonders charakteristisch sind Spiegel verschiedener Form, Verkleidungszonen, Schattentheater, Briefkästen, Projektoren und Leuchttische. Sie provozieren Kinder, sich auch in ihrer körperlichen Identität wahrzunehmen und zu akzeptieren, andere Rollen auszuprobieren, mit anderen zu kommunizieren und die dingliche Welt mit den in ihr wirkenden (u.a. ästhetischen) Strukturen zu erkunden.